Montag, 25. Mai 2015
Die Hattie-Studie: Was ist guter Unterricht?
Kategorie: #Paedagogik
Was ist guter Unterricht?

Ein australischer Erziehungswissenschaftler schickt sich an, diese Frage zu beantworten. Er analysiert 15 Jahre lang mehr als 50.000 Studien und 800 Meta-Studien, die das Lernen von etwa 250 Mio. Schüler*innen untersuchen. Heraus kommt etwas, das die meisten Bildungsforscher*innen mit einer Spur Ehrfurcht aussprechen: Die Hattie-Studie.

John Hattie reiht sich so mit seiner Untersuchung, die eigentlich mit "Visible Learning" - zu Deutsch: "Lernen sichtbar machen" - betitelt ist, womöglich in die pädagogische Prominenz ersten Ranges ein. Pestalozzi, Piaget, Hattie? - Wir dürfen gespannt sein, wie nachhaltig die Ergebnisse wirken.


Worum geht es nun in dieser Studie?

Hattie identifiziert 138 Faktoren, die den Lernerfolg von Schüler*innen beeinflussen und berechnet von jedem die Effektstärke d.


Ein bisschen Statistik

... zur besseren Einschätzung der Ergebnisse.
Großes d, großer Effekt, kleines d, kleiner Effekt. So weit, so unspektakulär.
Die ermittelten Werte liegen dabei zwischen d=-.34 (negativer, unerwünschter Wert) und d=1.44 (stark positiver Wert).

Wer's genauer wissen möchte:
ab d=.40 spricht Hattie von einem moderaten, ab d=.60 von einem großen Effekt. Die Werte zwischen 0 und .20 sind zu niedrig, um tatsächlich etwas über eine Veränderung auszusagen.
"Normaler" Unterricht (was auch immer das ist) soll pro Jahr etwa einem Wissenszuwachs zwischen d=.20 und d=.40 entsprechen.
Nach dem Motto What works best? stuft Hattie erst diejenigen Faktoren als interessant an, die bei d=.40 beginnen, die also den Lernerfolg "gewöhnlichen" Unterrichts übersteigen.


Die Faktoren

Die bereits erwähnten 138 Faktoren lassen sich sechs großen Bereichen zuordnen:
  • Lehrer*innen
  • Lehrplan
  • Unterricht
  • Schüler*innen
  • Elternhaus
  • Schule
Dabei kommt, so gruppiert, den Lehrer*innen die höchste (d=.49) und der Schule die niedrigste (d=.23) Effektstärke zu.

Der einzelne Faktor mit der höchsten Effektstärke nennt sich jedoch "Selbsteinschätzung des eigenen Leistungsniveaus" - was nicht weiter verwundert, wenn gute Schüler*innen aufgrund guter Leistungen weitere gute Lernerfolge vorhersagen (und sinngemäß für weniger gute Leistungen).
Am anderen Ende der Skala findet sich mit d=-.34 der Schulwechsel als negative Größe.

Eine geordnete Auflistung aller Faktoren findet sich hier:
http://visible-learning.org/de/hattie-rangliste-einflussgroessen-effekte-lernerfolg/

Erläuterungen zu den einzelnen Faktoren gibt es hier:
http://web.fhnw.ch/plattformen/hattie-wiki/begriffe/Kategorie:Faktoren


What works best?
Die Studie birgt auch einige Überraschungen bzgl. dessen, was gut wirkt und was nicht. Im Folgenden eine Auswahl.

Sehr hilfreiche Faktoren:
  • Reduktion von Verhaltensproblemen
  • Feedback, v.a. von Lehrer*innen an Schüler*innen
  • gutes Lehrer-Schüler-Verhältnis
  • Lehrerfort- und -weiterbildung
  • Klarheit der Lehrperson
  • Schnellläuferprogramme wie auch Förderunterricht
  • Kreativitätsförderung (!)
Hilfreiche Faktoren:
  • lehrergeleiteter Unterricht (!)
  • regelmäßige Leistungsüberprüfungen
  • Leseförderung und Lerntechniken
  • Zusatzangebote für leistungsstarke Schüler*innen
  • Lehrererwartungen
Wenig hilfreiche Faktoren:
  • geringe Klassengröße (!)
  • Unterrichtsreformen (!)
  • Budget
  • Forschendes Lernen
  • Hausübung (!)
Neutrale Faktoren ohne wirklichen Effekt:
  • offener Unterricht
  • jahrgangsübergreifender Unterricht
  • interne Differenzierung (!)
  • Web-basiertes Lernen
  • Lehrerbildung (!)
Eher schädliche Faktoren:
  • Sitzenbleiben
  • viel Fernsehen

Lehrerbildung

Ein Wort zur Bedeutung der Lehrerbildung. Dabei besteht ein signifikanter Unterschied zwischen der anfänglichen Aus- und der späteren Weiterbildung! Die Ausbildung der Lehrperson scheint nichts über den späteren Lernerfolg der Schüler*innen auszusagen - Fortbildung im Berufsleben hingegen hat einen deutlich positiven Effekt.


Einschränkungen
Auch Hatties Studie ist wohl nicht der Weisheit letzter Schluss. Zu beachten ist z.B., dass viele der zugrundeliegenden Studien nicht mehr ganz aktuell sind. Sie stammen etwa aus den 1980er und 90er Jahren. Zudem wurden nur englischsprachige Veröffentlichungen miteinbezogen. Inwiefern die Ergebnisse mit dem deutschen Sprachraum, oder anderen Regionen, übereinstimmen, bleibt fraglich.
Dennoch: Die Studie bietet Anlass, öffentliche Debatten wie auch das eigene Gestalten zu überdenken.


Quellen und Links zum Weiterlesen:

Berger, Regine (2014): Hattie-Studie - Was wirkt? Gefunden am 25.05.15 auf www.bildungsmedien.de/veranstaltungen/fup/forum-unterrichtspraxis-2014/fup2014-berger.pdf

BMBF/Steffens, Ulrich & Dieter Höfer (2014): Die Hattie-Studie. Gefunden am 25.05.15 auf
http://www.sqa.at/pluginfile.php/813/course/section/373/hattie_studie.pdf

Spiewak, Martin (2013): "Ich bin superwichtig!". In: Die Zeit 02/2013, gefunden am 25.05.15 auf
http://www.zeit.de/2013/02/Paedagogik-John-Hattie-Visible-Learning

Hattie, John A. C. (2009): Visible Learning. A synthesis of over 800 meta-analyses relating to achievement. London & New York: Routledge.
(auch in deutscher Übersetzung erhältlich)
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